Europa und die USA hatten Nigers Regierung als Hoffnungsträgerin auserkoren. Dann wurde sie weggeputscht. Und nun?
Niger sei «Dreh- und Angelpunkt für Stabilität im Sahel und ein verlässlicher Partner bei der Terrorismusbekämpfung». So stand das im Frühjahr 2022 in einem Bericht des amerikanischen Aussenministeriums.
Die USA waren nicht allein. Westliche Länder haben Niger in den vergangenen Jahren zu ihrem bevorzugten Partner in einer Region gemacht, die durch Gewalt von Jihadisten und Militärcoups immer unstabiler wurde. Niger, so schien es, war der Dominostein im Sahel, der nicht kippte; mit einer demokratisch gewählten Regierung und einer Armee, die die Jihadisten einigermassen im Griff hatte.
Der Eindruck täuschte. Vergangene Woche ist der Dominostein gekippt. Nigers Präsidentengarde putschte gegen Präsident Mohamed Bazoum. Plötzlich ist Niger einfach ein weiterer wankender Sahelstaat mit einer Militärjunta. Und was mit dem westlichen Engagement im Land passiert, ist unklar.
Wie weiter?
USA investierten über 500 Millionen Dollar
Vorerst besteht ein Rest Hoffnung, dass der Putsch noch rückgängig gemacht werden wird. Das afrikanische und westliche Ausland übt stärkeren Druck aus als bei vorangegangenen Coups in Mali und Burkina Faso. Die EU und Frankreich haben ihre Sicherheits- und Entwicklungshilfe rasch suspendiert, die USA werden vermutlich dasselbe tun. Die westafrikanische Regionalorganisation Ecowas droht sogar damit, militärisch zu intervenieren, wenn Präsident Bazoum nicht wieder eingesetzt wird.
Doch ob sich die Putschführer von finanziellen Kürzungen und Sanktionen beeindrucken lassen, ist fraglich. Ebenso, ob die Ecowas tatsächlich in Niger einmarschieren wird.
Was dann, wenn sich die Junta hält? Soll man mit ihr kooperieren? Westliche Länder haben viel investiert in den letzten Jahren, die USA allein seit 2012 mehr als 500 Millionen Dollar an Hilfe im Sicherheitsbereich. Die USA haben rund 1100 Soldaten in Niger stationiert, Frankreich 1500 Soldaten. Die EU hat zu Beginn des Jahres eine Ausbildungsmission im Land gestartet. Soll man das alles einfach aufgeben?
Westliche Länder haben auch viel symbolisches Kapital investiert. Sie haben Präsident Bazoum, der sein Amt 2021 antrat, zu einem demokratischen Hoffnungsträger stilisiert. Nach dem Putsch weitgehend zum Courant normal überzugehen, käme einem Gesichtsverlust gleich. Und noch wichtiger: Wie unberechenbar die Zusammenarbeit mit Militärjuntas ist, hat sich zum Beispiel soeben in Mali gezeigt, wo die regierenden Militärs zuerst die Franzosen und vor wenigen Wochen die Uno-Friedenstruppen dazu zwangen, ihre Einsätze zu beenden.
Wagner-Chef Prigoschin feiert den Coup
Wenn nicht kooperieren, dann einfach abziehen? Die Putschisten haben die Machtergreifung damit begründet, dass die Sicherheitslage ausser Kontrolle geraten sei. Das stimmt nicht. Auch dank der Unterstützung durch westliche Länder war die Gewalt in Niger weniger gross als in den Nachbarländern, wo Hunderttausende durch die Jihadisten vertrieben wurden.
Abzuziehen hiesse vermutlich, Chaos zu hinterlassen; mehr Gewalt, vor allem gegen Zivilisten. Es hiesse vielleicht auch, Russland ein weiteres Feld im Sahel zu überlassen. Der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hat den Coup in Niger – wenig überraschend – gefeiert. Die Europäer werden Niger auch aus dem Grund nicht einfach aufgeben wollen, weil das Land ein Drehkreuz der Migration Richtung Mittelmeer ist.
Es gibt gerade keine guten Optionen. Ausser Selbstreflexion. Offenbar gärte es in Niger schon länger, und bei den westlichen Partnern nahm kaum jemand Notiz. Es gärte in grossen Teilen der Bevölkerung, die Präsident Bazoums Regierung für korrupt und illegitim hielten. Und es gärte im Militär, in dem Bazoum versuchte, eine brüchige Machtbasis zu sichern, indem er Posten mit Loyalisten besetzte. Dass kaum jemand in Europa und den USA vor diesen Entwicklungen warnte, ist bedenklich. Und lässt vermuten, dass der Putsch in Niger nicht das letzte Mal gewesen sein könnte, dass der Westen vor den Trümmern seiner Politik im Sahel steht.
Author: Raven Jones
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